Als die PlayStation 4 noch jung war, hat Monolith Productions mit Mittelerde: Schatten von Mordor einiges Aufsehen erregt. Die Thematik war durch die Hobbit-Trilogie gerade recht präsent, und das Gameplay konnte mit Anleihen an die Assassin’s Creed Formel und dem Kampfsystem der Arkham-Reihe durchaus überzeugen. Außerdem hatte man mit dem Nemesis-System und den dynamischen Beziehungen der Orkhäuptlinge untereinander auch gute neue Ideen eingebracht. Zunächst gab es etwas Skepsis, wie man es wohl schaffen würde, mitten in eine solch abgeschlossene Geschichte noch eine weitere Vorgeschichte zu quetschen. Aber auch das wurde durchaus geschickt eingefädelt und ansatzweise getreu der Vorlage umgesetzt. So konnte man trotz einiger durchaus berechtigt kritischer Stimmen durchaus einen Erfolg verbuchen, der einen Nachfolger geradezu unausweichlich erscheinen ließ. Im Oktober dieses Jahres wird diese Hoffnung nun endlich erfüllt.
Hier lang, Hobbitse. Folgt mir!
Der erste Teil wurde noch als Cross-Generation Titel entwickelt, auch wenn der PS3-Titel reichlich misslungen war. Diesen Ballast hat man abgeworfen und so schickt sich Mittelerde: Schatten des Krieges nun an, alles was der Vorgänger gemacht hat, zwei bis drei Stufen aufwändiger und bombastischer zu gestalten. Statt ein paar vereinzelter Orks oder weniger gezielt platzierter Häuptlinge kontrolliert ihr nun ganze Heerscharen, mit denen ihr Festungen der Gegner angreift. Eroberte Festungen könnt ihr ausbauen, mit Fallen versehen und unterworfene Häuptlinge zur Verteidigung zuweisen. Dadurch bekommt das Spiel sogar ein paar Züge von einem Strategiespiel.
Auch die Auswahl der zu bekämpfenden bzw. zu kontrollierenden Gegner wurde kräftig erweitert. Die Uruks sind deutlich abwechslungsreicher mit breiter gefächerten Eigenschaften, Waffen, Fähigkeiten und Persönlichkeiten. Dazu gesellen sich die Olog-Hai, Kampftrolle, die ähnlich wie die Orks in Stämmen organisiert sind und auch im stark erweiterten Nemesis-System integriert sind. Alle bekannten Geschöpfe wie zum Beispiel die Graugs kehren zurück und erhalten dabei neue Fähigkeiten abhängig vom Gebiet in dem sie auftreten. Dazu kommen neue Kreaturen wie Drachen und Giftspinnen. Auch die Reihe der Bossgegner wurde aufgestockt mit den Nazgûl inklusive Hexenkönig und sogar ein Balrog muss überwunden werden.
Sie ist immer hungrig… und immer braucht sie... Futter
Um gegen eine solche Übermacht zu bestehen, braucht man Hilfe. Armeen von Orks und Trollen zu kontrollieren reicht da trotz den erweiterten Fähigkeiten von Talion nicht aus. Das Erwachen des Balrog ruft seine alte Erzfeindin Carnán ins Spiel, einem Geistwesen aus dem Wald beim Núrnen-Meer. Diese unterstützt euch im Kampf gegen ihn, indem sie unter anderem die Form eines Kampfgiganten annimmt, der es mit dem Balrog aufnehmen kann. Außerdem verbündet ihr euch sogar mit Shelob, die viele nur als die riesige Spinne aus Herr der Ringe kennen. Aber sie zeigt sich wandelbar und nimmt für eine Weile die Gestalt einer Frau an, während sie dem Spieler zur Seite steht. Aber ob man ihr trauen kann…?
Ihr seht schon, die Entwickler haben sich diesmal sehr viel mehr Freiheit mit der Vorlage genommen. Man hat erzählerisch quasi den gleichen Weg eingeschlagen wie die Verfilmung des Hobbit im Vergleich zur Herr der Ringe Trilogie und sich großzügig aus dem gesamten Schöpfungswerk von J. R. R. Tolkien bedient, inklusive freier Interpretation von kurzen Erwähnungen, wie zum Beispiel das Shelob lediglich die Gestalt einer Spinne gewählt hatte. Aber während das der zweiten Filmreihe meiner Meinung nach nicht so gutgetan hat, ist es für ein Spiel im Zweifelsfall immer besser, spielerische Abwechslung zu bieten, als sich allzusehr an Vorlagen oder gar Realismus zu orientieren. Man sollte das nicht zu eng nehmen und das Spiel als solches genießen - der Versuch, es irgendwie in seine Vorlagen zu integrieren, wird eher scheitern. Und so kann man die umfangreichen Bemühungen nur begrüßen. Statt wie so oft nur quasi das gleiche Spiel nochmal zu verkaufen mit ein paar kleinen Verbesserungen und neuer Geschichte wurde hier ein in allen Belangen kräftig aufgebohrter Nachfolger zusammengebraut, der auch völlig neue Wege beschreitet, ohne das Feeling des Vorgängers komplett zu verlieren.
So schön, so prächtig. Oh mein Schatzzz
Die Entwickler versprachen explizit, dass sie aus den Schwächen des ersten Teils gelernt haben. Neben der vielleicht fehlenden Abwechslung, wo man sich wie gesagt hier kaum Sorgen machen muss, war wohl der mangelnde Schwierigkeitsgrad der am häufigsten geäußerte Kritikpunkt. Nach einer Weile wurde man bei Schatten von Mordor so stark, dass auch Kämpfe gegen eine große Zahl von Gegnern den Schrecken verloren. Man konnte sämtliche Fähigkeiten erwerben und schnetzelte sich mit etwas Geschick nur so durch die Horden. Im neuen Fertigkeitenbaum muss man jetzt gezielt auswählen und kann nicht mehr Spezialist für alles werden. Auch allgemein soll es bis zum Schluss anspruchsvoll bleiben, und die Strategieelemente steuern sicher auch etwas dazu bei. Das neue Nemesis-System bringt eure Widersacher auch in recht unerwarteten Momenten ins Spiel, so ist meiner mitten in der Mission beim Schleichen über Dächer plötzlich neben mir und hat mir den heimlichen Ausflug ordentlich versaut. Außerdem haben sich die Uruks und Ologs auch an Talion ein Beispiel genommen und können nun unter Umständen wiederauftauchen, obwohl man sie vermeintlich bereits getötet hatte.
Wir führen sie zur gewundenen Treppe!
Wo viel Licht ist, ist aber auch Schatten. Natürlich haut Warner Bros wie üblich kräftig auf die Vorbesteller-Pauke mit exklusiven Vorbestellungs-DLC und einer Gold-Edition. Dazu gesellen sich jetzt auch noch Loot-Boxen. Das ist heutzutage ja leider schon normal, aber WB beschränkt sich dabei bedauerlicherweise anscheinend mal wieder nicht nur auf kosmetische Schmankerl, sondern hält auch für spielerisch relevante Gegenstände nochmal zusätzlich ordentlich die Hand auf. Hoffen wir mal, dass das Spiel auch ohne weitere Käufe nicht in frustige Bereiche abrutscht, dann bleibt wenigstens nur der fahle Beigeschmack. Und auch mit einer anderen Aktion hat man sich nicht mit Ruhm bekleckert, und aus einer anscheinend gut gemeinten Aktion zur Ehrung eines an Krebs gestorbenen Entwicklers ein kleines Debakel geschaffen. So hat man einen DLC-Charakter namens Forthog geschaffen, der jenem Entwickler in Gestalt und Namen ähnlich ist und dem Spieler gelegentlich beiseite steht. Doch dieser DLC sollte Geld kosten, und zumindest schlecht formuliert war die zugehörige Pressemitteilung, denn laut dieser sollte nur ein Teil des Erlöses einem guten Zweck zukommen, was nach taktloser Bereicherung riecht. Inzwischen wurde aber beteuert, dass keinerlei Gewinn an diesem DLC Warner Bros zugutekommen wird, aber nicht näher erläutert, wie das ablaufen wird.
FAZIT:
Trotzdem glaube ich, dass wir es hier mit einem echten Schmankerl für die Herbstsaison zu tun haben werden. Technisch und vor allem inhaltlich wurde eine ordentliche Schippe draufgelegt, es scheint auch sehr umfangreich zu werden. Vom Spielgefühl her ist man sofort wieder zuhause, wenn man den Vorgänger mochte, aber wie spielen sich die neuen Elemente? Kann man diese auch ein wenig vernachlässigen, wenn man nicht viel Lust auf komplexe Strategie hat? Diese Fragen werden wohl bald beantwortet, aber Monolith wird das bestimmt im Auge haben, da es sicher weiterhin primär ein Actionspiel bleibt. Wenn sie die Balance hinbekommen, und es auch so viel Spaß macht wie es bisher den Anschein hat, muss es sich sicher nicht hinter den anderen hochkarätigen Titeln zum Jahresende verstecken.
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