Ich liebe es, wie Visual Novels in den letzten Jahren wirklich explodiert sind. Aufgrund eines steigenden internationalen Interesses erreichen uns inzwischen Spiele, von denen Fans des Genres vor Jahren noch nicht einmal geträumt hätten. Was „Code: Realize“ angeht, gibt es das Spiel zwar seit 2015 schon auf der Vita, dennoch haben sich die Jungs und Mädels von Aksys Games die Extra-Arbeit auf sich genommen, das Spiel nun auch auf die PS4 zu portieren, und zwar einschließlich der Erweiterung „Future Blessings“, die einige neue Szenarien mit sich bringt.
Es wird romantisch
Die Story von „Code: Realize“ spielt im London des 19. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt steht die junge Dame Cardia, die alleine gelassen in einem riesigen Herrenhaus verweilt. Als „Monster“ bezeichnet wurde sie von ihrem Großvater komplett von der Außenwelt abgeschnitten. Und obwohl Cardia äußerlich wahrlich kein Monster ist, verfügt sie über ein dunkles Geheimnis. Denn eine einfache Berührung von ihr genügt bereits, um einen Menschen umzubringen. Eine Gabe, die sich als großer Fluch entpuppt. Vor allem in jener schicksalhaften Nacht in der Cardia aus dem Nichts von einer Truppe an Soldaten entführt wird, da wohl jemand Interesse an ihren „besonderen Fähigkeiten“ hat. Mit der Hilfe eines mysteriösen Wohltäters gelingt es jedoch Cardia, sich aus den Schlingen des Militärs zu befreien. Doch das wahre Abenteuer beginnt erst jetzt. Wie man zu Beginn des Spiels erfährt wurde man nämlich von keinem Geringeren als Arsène Lupin gerettet, der auf der Suche nach Cardias Großvater ist und somit ebenfalls eine eigene Agenda verfolgt. Cardia selbst scheint anfangs durchaus überwältigt von dem krassen Einschnitt in ihrem Leben zu sein, doch nach und nach erweckt auch ihre Neugier, mehr darüber zu erfahren, was es eigentlich mit ihrer „Gabe“ und mit den Leuten zu tun hat, auf die sie im Laufe der Zeit stößt. Denn ein Markenzeichen der Geschichte von „Code: Realize“ ist die Aufstellung eines fantastischen Ensembles, das neben Lupin weitere literarische Star-Protagonisten umfasst, wie zum Beispiel Van Helsing oder Frankenstein. Und obwohl „Code: Realize“ ein Mitglied des Otome-Genres ist, wo es oft um die zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen einer Frau und mehreren Jungs geht, entpuppt sich „Code: Realize“ keineswegs als lahme Dating-Sim. Ganz im Gegenteil: Cardia, die anfangs noch sehr hilflos erscheint, entwickelt sich im Laufe der Zeit zu einem immer stärkeren Charakter, der selbst mit diesen doch schon sehr extravaganten Charakteren immer besser zurechtkommt. Gemeinsam mit ihren Unterstützern begibt sie sich auf eine spannende Reise, in der es vor allem darum geht, die Ursprünge ihres Lebens bzw. ihres Leidens ausfindig zu machen.
Steampunk-Märchen
Die Story selber ist in 13 Kapitel unterteilt und wirklich äußerst lang. Wer also bis zum Ende durchhalten will, sollte sich definitiv auf rund 40 Stunden an Inhalt vorbereiten. Dennoch muss ich zugeben, dass das Geschehen durchaus nicht uninteressant ist. Na klar, die verschmusten Momente sich vielleicht nicht jedermanns Ding, aber im Gegensatz zu vielen anderen Vertretern des „Otome-Genre“, welches sich explizit an weibliche Gamer richtet, hält man sich mit typischen Genre-Gepflogenheiten weitestgehend zurück, wodurch selbst ein 08/15-Zocker möglicherweise Gefallen an diesem Titel finden wird. Während Cardia wie eingangs erwähnt nach und nach mehr Tiefgang gewinnt, und auch eine eigene Meinung und Ansichtsweise entwickelt, präsentieren sich die männlichen Gefährten durchaus als halbwegs gesellige Charaktere, die ab und zu ein wenig zu überspielt und übertrieben wirken, aber wenn es darauf ankommt auch echten Tiefgang beweisen und im großen Maße zur Suche nach Cardias Großvater beitragen. Hinzu kommen gelungene Story-Wendungen und auch lustige Momente, die dem Londoner Steampunk-Alltag ein wenig Abwechslung verleihen. Apropos Steampunk: In Sachen Word-Building hat man sich sehr viel Mühe gegeben. Obwohl die Geschichte nur in Bild- und Textform dargestellt wird, dauert es nicht lange ehe man ein Gefühl für die Umgebung bekommt. Dies liegt sowohl an den authentischen Dialogen, als auch am erstklassigen Artstyle, der das Gefühl des dreckigen, aber dennoch monumentalen London absolut widerspiegelt. Hinzu kommt eine gute (japanische) Synchronisierung und ein gelungener Soundtrack, der erheblich zur Atmosphäre des Spiels beiträgt. Im Vorfeld habe ich erfahren, dass einige der talentiertesten japanischen Synchronsprecher für das Spiel angestellt wurden, und dies lässt sich wirklich heraushören. Obwohl ich die Sprache nicht verstehe, werden Emotionen hervorragend wiedergegeben. Man fühlt es einfach. Abschließend möchte ich nochmal auf das Gameplay eingehen, welches relativ „straight-forward“ ist und nicht viel Erklärung benötigt. Genre-untypisch gibt es, wie schon erwähnt, weder Dating-Sim-Aspekte noch Mini-Spiele. Hier und da trifft man lediglich auf einige Entscheidungszweige, die darüber entscheiden, welches Ende man im Anschluss erhält. Von diesen gibt es übrigens Unmengen, wodurch ein Guide für ein komplettes Durchspielen der Geschichte definitiv zu empfehlen ist.
Ein kleines Extra
Mit „Future Blessings“ verfügt das Spiel über ein kleines Add-On, welches in Form von kleinen Zusatzerzählungen einige neue Informationen bereitstellt, und jeden Protagonisten ein richtiges Ende spendiert. Alles in allem fehlte mir hier jedoch ein wenig an Tiefgang, da „Future Blessings“ nicht die Höhen der Hauptstory erreichen konnte. Dennoch ist es eine interessante Zugabe für alle Fans des Spiels.
FAZIT:
Ich muss zugeben, dass ich vor dem Beginn des Spiels seichte Unterhaltung und dünne Charaktere erwartet habe. Und obwohl ich zuvor noch keine Erfahrungen mit Spielen des Otome-Genres gespielt habe, hatte ich hier und da definitiv einige kritische Kommentare gehört, weswegen meine Erwartungen zugegebenermaßen sehr niedrig waren. Umso überraschter war ich dann im Laufe der Zeit als ich bemerkte, dass hinter der Fassade viel mehr Tiefgang steckt als zunächst gedacht. Es dauert zwar ein wenig, aber sobald die Story einmal angezogen hat, will man den Controller gar nicht mehr loslassen. Alles in allem kann ich dieses Spiel also allen Fans von guten Visual Novels absolut empfehlen – und zwar selbst wenn man kein großer Anhänger des schnulzigen Otome-Genres ist.
[ Gespielt auf der PlayStation 4 Pro mit 1080p TV]
Alle Produkttitel | Herstellernamen | Warenzeichen | Grafiken und damit verbundene Abbildungen sind Warenzeichen und/oder urheberrechtlich geschütztes Material ihrer jeweiligen Inhaber. All referenced company names, characters and trademarks are registered trademarks or copyrights of their respective owners.