Bekanntermaßen haben die klassischen Strategiespiele, welche man vom PC kennt, einen verschwindend geringen Anteil am Spieleangebot für Konsolen. Wer es bisher halbwegs strategisch mochte, der griff vor allem auf Rollenspiele zurück. Seit einiger Zeit, vor allem seit Final Fantasy Tactics´(das leider nie in Europa erschien), sieht es da jedoch völlig anders aus. Als Mixtur von rundenbasierten Strategiespielen und dem Charaktersystem von Rollenspielen, erfreuen sich die so genannten Strategie-Rollenspiele (SRPG) immer größerer Beliebtheit. Nippon Ichi präsentiert mit Phantom Brave immerhin schon das zweite Strategie-Rollenspiel innerhalb von 12 Monaten und schickt euch diesmal in der Rolle des 13jähriges Mädchen Marona auf eine beschwerliche Reise. Marona ist Vollwaise und schlägt sich als Chroma, vergleichbar mit einem Abenteurer, durch den Alltag in der Welt Ivory. Obwohl ihre Eltern vor acht Jahren getötet wurden, könnte ihr Leben recht angenehm sein, wenn nicht alle anderen Bewohner sie verachten und stets als „Besessene" bezeichnen würden. Denn als wahrscheinlich einziger Mensch hat sie die Fähigkeit von ihren Eltern geerbt, Phantome zu beschwören und als ihre Gehilfen einzusetzen. Das bringt ihr natürlich jede Menge Abneigung ein, denn Phantome sind für eine Vielzahl von Unglücken und Verbrechen verantwortlich. Somit ist es auch besser, dass ihr ständiger Begleiter Ash die meiste Zeit unsichtbar bleibt. Ash kannte schon Maronas Eltern, die damals bei einem Überfall ums Leben kamen. Er selber muss seit jenem schrecklichen Tag sein Dasein als Phantom bestreiten. Zusammen erleben sie alle Aufträge, die per Flaschenpost auf ihrer Insel eintreffen.
Animierte Pixel und Atari-Sound?
Jeder von uns hat sicherlich schon einmal den Ausspruch „Mehr Schein als Sein" gehört. Damit umschreibt man normalerweise Grafikblender, Spiele die neben einer hübschen Grafik nur wenig Spielsubstanz bieten. Sollte man in die Versuchung kommen, dieses Motto auch auf Phantom Brave anzuwenden, kommt man schnell ins Straucheln, denn allein anhand des optischen Erscheinungsbildes, müsste die Einschätzung zu einem absurden Urteil führen. Die Entwickler von Nippon Ichi haben sich nämlich ausschließlich auf 2D-Grafiken beschränkt. Figuren, Objekte und beinahe alle Effekte erstrahlen als Bitmaps. Lediglich die dreidimensionalen Karten mit den unterschiedlichen Höhenabstufungen und einige wenige Grafikeffekte zeugen davon, dass man nicht an einer Konsole der 16-Bit-Ära sitzt, sondern an seiner geliebten PS2. Selbst in Bezug auf die Zwischensequenzen ist man von diesem System nicht abgewichen. Auch diese bestehen alle aus gezeichneten Hintergründen und animierten Sprites. Gerenderte Videos oder gar opulente Anime-Sequenzen sucht man vergebens. Diese Old School Mentalität bezieht sich übrigens auch auf die PAL Anpassung. Zwar gibt es glücklicherweise keine Balken, auf einen 60Hz Modus hat man dennoch verzichtet. Steht man zudem mit der englischen Sprache auf Kriegsfuß, sollte man Phantom Brave lieber gleich im Geschäft lassen, denn es finden sich im Spiel keinerlei deutsche Bildschirmtexte wieder. Auch müssen wir Europäer auf die japanische Audiospur verzichten, die noch beim US Release des Spieles vorzufinden war. Die englischen Sprecher können nämlich ziemlich nerven, da sie nach den typischen japanischen Klischees ausgewählt wurden. Im Menü versprüht dagegen der melancholische Gesang des Titelliedes seinen Charme, während im restlichen Spiel instrumentale Klänge für Stimmung sorgen. Einzig das ständige „Biep" eines jeden Tastendrucks nervt mit der Zeit und lässt sich leider auch nicht getrennt abschalten.
Des Pudels Kern...
Jetzt aber zum wichtigsten Kriterium eines jeden Spieles, dem Gameplay. Daran hat man Dank jahrelanger Erfahrung mit dem Genre (Rhapsody, Disgaea) zum Glück nichts weiter falsch gemacht. Genau genommen besteht das Spiel fast ausschließlich aus Zwischensequenzen und Kampfbildschirmen. Darüber hinaus gibt es praktisch keine Möglichkeiten eure Figuren direkt zu steuern. Lediglich auf Maronas Heimatinsel könnt ihr frei herumstreifen und all die Dinge erledigen, die als „Party-Leader" so anfallen. Sonderlich groß ist das Areal jedoch nicht, so dass man keine Angst haben muss, sich zu verlaufen. Euer Alltag lässt sich wie folgt beschreiben: morgens werden neue Phantome erschaffen und ausgerüstet, mittags liest man seine tägliche Flaschenpost, nachmittags levelt man schnell noch ein paar Waffen und Kämpfer auf und abends heilt man seine Party. Teilweise geben die Gruppenmitglieder sogar nützliche Hinweise, falls man die Geduld besitzt, jede Figuren nach jedem Auftrag anzusprechen. Sobald ihr übrigens neue Missionen erhaltet, stehen die dafür zu bereisenden Inseln auf der Weltkarte zur Verfügung. Die Schwierigkeit eines Abschnittes liegt dabei hauptsächliche in den einzelnen Stages, die ihr alle beenden müsst, damit der Auftrag abgeschlossen wird. Selbstverständlich können vorherige Inseln bereist und die verschiedenen Stages erneut absolviert werden. Das ist auch absolut notwendig, denn nur so könnt ihr eure Phantome / Waffen aufleveln und die neuesten Fähigkeiten ausprobieren.
War is my shepard
Die Kämpfe laufen allesamt rundenbasiert und in isometrischer Ansicht ab. Nach jedem abgeschlossenen Gefecht besteht die Möglichkeit, zu Maronas Insel zurückzukehren und seine lädierten Kämpfer zu heilen, Waffen zu verbessern oder einfach nur, um zu speichern. Gerade die Speicherfunktion stellt sich als wichtiger Verbündeter heraus, da so manche Kämpfe auf einen Schlag härter ausfallen, als die Schlacht noch davor. Nach einem Ableben darf man übrigens nur „neu laden", was etwas umständlich ist. Continues oder ein komfortabler Neustart des Kampfes fehlen.
Ich werde euch jetzt noch etwas über die Kämpfe, das Upgrade-System, die Steuerung und zu den Charakteren erzählen. Insgesamt darf Marona im Spielverlauf auf über 50 Phantome und Items zurückgreifen. Jeder Charakter und jedes Item (ausgerüstet oder nicht) belegt dabei einen der fünfzig Slots von Maronas Inventar. Nicht mehr benötigte Items sollte man daher verkaufen, einem neu geschaffenen Charakter vermachen oder einfach mit einem Charakter kombinieren. So verschwindet der Gegenstand aus der Slotliste und je nach Manavorrat, kann man neue Angriffe oder Statuswerte übertragen. Das geht natürlich auch anders herum, dann verschwindet allerdings die Figur. Hier werden die Statuswerte des Phantoms auf die Waffe übertragen. Notwendig ist das nicht, denn die Kämpfer steigen im Normalfall automatisch durch die erlangten Erfahrungspunkte auf, die Items dagegen nicht. Mittels Mana darf man diese aber auch aufwerten. Dadurch kann man logischerweise bessere Statuswerte erlangen, jedoch nur bis zu einem festgesetzten Maximalwert. Daher dient Mana auch als zweitwichtigstes Zahlungsmittel in Ivory. Geld spielt eher beim Heilen, Waffen kaufen und Phantome erschaffen eine Rolle. Genug hat man von beidem eigentlich nie. Das wirkt sich spürbar bei der Charaktererschaffung aus. Höhere Ausgangslevels verlangen mehr Moneten, wichtigere Klassen auch. Die Bandbreite der dabei auswählbaren Klassen reicht vom Kämpfer, über Heiler, Händler, Schmiede, Magier bis hin zum betrunkenen Mönch. Wem das Aufleveln in den bekannten Schauplätzen auf Dauer zu eintönig ist, kann sich auf zufallsgenerierten Karten des Mönches vergnügen. Preiswert ist diese Abwechslung jedoch nicht. Denn schon die Erschaffung des Trunkenboldes geht richtig ins Geld. Zudem muss man für die Dungeons auch noch extra bezahlen, so dass sich diese Methode eigentlich nur eignet, um seinen Manavorrat aufzubessern, der aber im Endeffekt wichtiger ist, als all das Geld.
Fight, fight, fight
Sobald der Kampfbildschirm erscheint, steht ihr mit Marona wieder alleine da. Sie kann nun aus herumliegenden Gegenständen und Mineralien ihre Phantome aufrufen, allerdings nur so viele wie auf der Karte zugelassen sind. Diese steuert ihr nun rundenweise bis zu fünf Züge, dann muss Marona wieder ein neues Phantom beschwören. Man sollte also auf ein recht ausgeglichenes Team zurückgreifen können. Je nach verwendeten Items, verändern sich außerdem die Statuswerte der Charaktere. Manche Charaktere profitieren von Schutz gebenden Gegenständen und es lassen sich gar Phantome in diesen beschwören, anderseits kann man den Gegner schwächen, indem man solche Items zerstört. Pro Zug darf man seinen Charakter im jeweiligen Aktionsradius bewegen (auch mehrmals) bis die Bewegungspunkte aufgebraucht sind. Wem dabei Fehler unterlaufen, der kann jederzeit zur Ausgangsposition der Figur zurücksetzen, vorausgesetzt man hat noch keinen Gegner angegriffen. Angriffe sind endgültige Aktionen, die nicht zurückgenommen werden können. So verwundert es auch keineswegs, dass jeder Figur pro Zug auch nur ein Angriff oder Wurf zugestanden wird. Mit der Zeit und einiger Probiererei lernt man nach und nach die Feinheiten des Kampfsystems kennen. Würde ich auf alle Aspekte im Detail eingehen, müsstet ihr wahrscheinlich weitere 5 Seiten geschriebenen Textes lesen. Der grobe Umriss sollte euch jedoch reichen, damit ihr ein ungefähres Bild vom Spielsystem bekommt.
Für Kritik ist aber immer ausreichend Platz. So schön und gut das Kampfsystem im Grunde ist, so gestalten sich die ersten Stunden etwas eintönig, da es einiger Spielzeit bedarf, um an mehrere Angriffsschläge und an ausreichend Energie für Spezialangriffe zu kommen. Auch lässt die Übersicht in größeren Gefechten oftmals zu wünschen übrig. Die Figuren und Items hängen mitunter dermaßen auf einem Haufen, dass man überhaupt nicht mehr in der Lage ist, den gewünschten Gegner präzise anzuvisieren. Unterschiedliche Höhenniveaus und die in 45°-Schritten rotierende Kamera tragen dazu auch ihren Teil bei. Selbst die verschiedenen Zoom-Stufen können einem bei diesem Dilemma nicht so recht helfen. Das ist zum Glück der einzige grobe Schnitzer, der den Entwicklern unterlaufen ist.
FAZIT:
Ihr mögt Rollenspiele? Ihr liebt Strategiespiele? Bei dem Wort SNES geratet ihr sofort in Verzückung? Dann seid ihr genau die richtigen Kandidaten für Phantom Brave. Der Titel entpuppt sich nach kurzer Zeit als ein richtig forderndes Strategie-Rollenspiel, das bis auf kleine Verbesserungen im bekannten 2D-Gewand daherkommt. Grafikfetischisten sind hier also völlig an der falschen Adresse. Vielmehr richtet sich das Spiel an alle Retro-Liebhaber und Taktikfans mit japanophilen Vorlieben. Denn der veraltete 2D Look und das „zuckersüße" Design sind nicht jedermanns Sache. Dagegen sind die unzähligen Möglichkeiten, wie man die Fähigkeiten der Charaktere und Waffen verbessern kann, wirklich vorbildlich und äußerst umfangreich. Neueinsteiger werden sich davon zu Beginn jedoch ein wenig überfordert fühlen, denn selbst die eingebundenen Tutorials können die vielfältigen Möglichkeiten nur im Ansatz erläutern und es sind schon ein paar Stunden Spielzeit erforderlich bis sich der komplette Durchblick beim Spieler einstellt.
[ Review verfasst von Justicer ]
Pluspunkte:
- Unmengen taktischer Möglichkeiten
- Nett umgesetzte Story
- Stimmungsvolle Musik
Minuspunkte:
- Magere Retro-2D-Präsentation in niedriger Auflösung
- Aufleveln mit endlosen Levelwiederholungen erforderlich
- Bei vielen Gegnern artet das Spielgeschehen in unübersichtliches Getümmel aus