Viele aktuelle Ego-Shooter nutzen entweder ein austauschbares Science-Fiction Setting (Timeshift, Unreal Torunament III) oder sind in ein authentisches Militärszenario eingebettet (Call of Duty 4, Medal of Honor: Airborne). Wer auf etwas anderes scharf ist, wird daher nur selten fündig. Aber gerade deswegen mag „Clive Barkers Jericho“ einen zweiten Blick wert sein. Hier wird der Spieler nämlich in ein extrem gruseliges Horrorabenteuer mit allerlei ekligen Monstern, Leichen, Blut und Exkrementen gestürzt. Da jedoch Splatter und Ekel noch lange nichts über die eigentliche Qualität aussagen, haben wir uns das Spiel aus dem europäischen Umland importiert (die USK verweigerte eine Freigabe, weswegen „Jericho“ bei uns nicht offiziell erschienen ist) und verraten euch auf den folgenden Zeilen, wie gut oder schlecht der interessante Shooter nun dasteht.
Übrigens: Damit alles so glaubwürdig wie möglich wirkt, wurde dieser Text mit dem Blut des Autors geschrieben. Nur für den Fall, das irgendwelche Teufel die Rezension als Portal in unsere Welt nutzen sollten…
Die Box der Phyxis
Etwas wird im Religionsunterricht nicht gelehrt, nämlich der „Fakt“, dass der Mensch nicht die erste Schöpfung Gottes war. Nein, vor dem Menschen erschuf der Allmächtige das Erstgeborene. Ein Wesen, das ihm auf perverse Art ähnelte, aber weder zum Licht noch zum Schatten gehörte. Dadurch ängstigte sich sogar der Schöpfer und verbannte das Erstgeborene daraufhin in einen unendlichen Abgrund, auf das es ewig in seiner eigenen Verdammnis schmoren möge. Doch das Erstgeborene hinterließ auf der Erde eine Wunde, einen Platz der Fäulnis, der im Laufe der Zeit unaufhörlich anwuchs und es ihm eines Tages ermöglichen würde, sein Geburtsrecht einzufordern. Sechs Mal schlugen seine Versuche einer Rückkehr bereits fehl und immer wieder konnte das Wesen von sieben tapferen Seelen zurückgeschlagen werden. Doch nun ist das Erstgeborene mächtiger als jemals zuvor und droht mithilfe finsterer Kollaborateure die Menschheit endgültig zu vernichten. Die Story mag zwar im Großen und Ganzen ein paar trashige Anleihen besitzen, kann den Spieler aber trotzdem recht gut in seinen Bann ziehen. Besonders wenn man auf okkulte Sachen und Legenden steht. Im Spiel selbst übernimmt man die Kontrolle über ein Jericho Team. Eine Art Sondereinheit, die aus mehreren Spezialisten besteht, die sich den Kampf gegen das Böse auf die Fahne geschrieben haben und nun die unnatürlichen Vorfälle in der vergessenen Stadt Al-Khali untersuchen sollen. Wenn sie nur vorher gewusst hätten, auf was sie sich da eingelassen haben…
Rollenspiel
Nachdem man einige Zeit in der Haut von Captain Devin Ross gesteckt hat, kontrolliert man später (ab dem ersten Spieldrittel) auch die restlichen Teammitglieder. Insgesamt gibt es sechs davon (+ Ross) und jede Frau und jeder Mann verfügt über ganz eigene Spezialfähigkeiten und Waffen. Diese muss man an bestimmten Stellen und in den Bosskämpfen auch gezielt einsetzen, um weiterzukommen. Aber meistens eben nur da, im eigentlichen Spielverlauf beschränkt man sich wohl oder übel auf ein / zwei Charaktere. Die Steuerung wurde relativ einfach gehalten und ermöglicht so ein schnelles und vor allem bequemes Wechseln der Charaktere. Nur manchmal kann man in Schwulitäten kommen, da die Heilen Funktion und das Teammenü auf der gleichen Taste (X-Taste) liegen. Hier hätten die Entwickler sich etwas anderes ausdenken müssen. Denn in der Hitze des Gefechts kommt es nun mal öfters vor, das man die X-Taste zu lange gedrückt hält und damit das Teammenü öffnet, anstatt einen gefallenen Kollegen zu retten. Aber OK, damit kann man sich unter Umständen noch abfinden. Was dagegen stärker nervt, ist der permanente Zwang, die Spielfigur wechseln zu müssen. Dadurch entsteht häufig Desorientierung und man fühlt sich zudem leicht überfordert. Insbesondere wenn man es dann auch noch mit strohdummen Kameraden zu tun hat, die lieber ins offene Feindfeuer laufen, als hinter der Deckung zu bleiben. Selbst Unterstützungscharaktere wie Simone Cole oder die Scharfschützin Abigail Black ziehen den Nahkampf vor. Aber nicht nur in den eigenen Reihen sieht es düster mit der Künstlichen Intelligenz aus, auch die Gegner sind keine Intelligenzbolzen und marschieren stets schnurstracks auf den Spieler zu. Schwierig wird es eigentlich nur, da die Monster a) viel zu viel einstecken, b) immer in Rudeln auftreten und c) teilweise nur an einzelnen Punkten verwundbar sind. Dadurch verkommt jedes (!) Gefecht zum Glücksspiel und man wird selbst auf Leicht mehr als genug den Game Over Bildschirm sehen. Bei Bosskämpfen kann man dafür die Dummheit der Viecher ausnutzen und wechselt einfach ununterbrochen zwischen den Figuren hin und her. Kurz bei einem angekommen, gibt man schnell zwei / drei Schuss ab oder setzt Magie ein, flitzt mental zum Nächsten, feuert dort wieder ein paar Schuss auf das Monster usw. Der dämliche Boss dreht sich immer erst in dem Augenblick zum Spieler um, wenn dieser schon längst wieder weg ist und ihm wieder von Neuen in den Rücken schießt. Interessant wäre die Teamkomponente in einem kooperativen Spielmodus geworden, aber da es überhaupt keine Mehrspielermodi gibt, fällt diese Option wohl flach. Wenigstens kann man sich nicht verlaufen, denn die Levels sind alle total linear aufgebaut: Nach und nach durchquert man eine Ebene der Stadt und trifft auf finstere Gesellen aus diversen Zeitepochen wie dem Zweiten Weltkrieg, den Kreuzzügen und des römischen Kaiserreiches. Zwischendurch werden immer wieder ein paar Quick Time Events (aka Knöpfchendrückersequenzen) eingestreut. Diese erscheinen aber so unvorhersehbar, dass man die Szenen mindestens einmal verreißt. Einen Pluspunkt verdienen sich immerhin die zahlreichen Dialoge, die den Jericho Mitgliedern etwas Persönlichkeit verleihen. Allerdings wäre dieser Aspekt noch ausbaufähig gewesen und irgendwie wurde ich den Eindruck nicht los, dass an dieser Stelle Potential verschenkt wurde. Enttäuschend ist übrigens auch das Ende, das sehr hingeschludert wirkt und irgendwie den Kraftakt des Durchspielens nicht so richtig rechtfertigen kann. Hmpf!
Flüsse aus Blut und Regen aus Gedärm
Technisch zeigt sich das Spiel relativ solide. Die Umgebungen passen gut zum düsteren Look, könnten aber mehr Details vertragen. Letztendlich sieht alles nämlich irgendwie gleich „heruntergekommen“ aus und Highlights in Form von charakteristischen Punkten gibt es nur wenige. Dafür wissen aber die vielen ekligen Stilmittel wie Leichenteile, Blut und Gedärme und andere Abartigkeiten zu überzeugen. Genauso wie das gelungene Gegnerdesign, dass im besten „Hellraiser“ Stil gehalten wurde. Weniger toll ist dagegen die niedrige Framerate, die bei größeren Gefechten auch noch leicht in die Knie geht (besonders in Full HD). Zwar bleibt „Jericho“ trotzdem jederzeit spielbar, aber etwas mehr darf man heutzutage schon erwarten. Beim Sound fallen vor allem die angsteinflößenden Geräusche und Effekte auf. In Verbindung mit dem superben Soundtrack (orchestral, anmutig und irritierend zugleich) ergibt sich krasser Cocktail, der mit einer richtigen Anlage für viel Stimmung sorgt. Leider wird diese durch die mittelmäßige deutsche Synchronisation immer wieder etwas gedrückt. Zwar machen zugegebenermaßen einige Sprecher einen guten Job und vor allem der Erstgeborene mit seinen mehreren Stimmen ist absolut freakig, aber gerade die Spielerfigur Ross zerrt mit seinem hölzernen Timbre an den Ohren. Die englische Sprachausgabe ist übrigens auch keinen Deut besser, weshalb man das Spiel auch mit deutscher Sprachausgabe spielen kann.
FAZIT:
„Jericho“ besitzt definitiv eine dichte und vor allem gruselige Atmosphäre – aber auch ein ziemlich mittelmäßiges Gameplay. Besonders die unausgegorene Team-Mechanik, der fordernde Schwierigkeitsgrad und die schlechte KI der Gegner / Mitstreiter lassen das Spiel oftmals zu einem richtigen Graus werden. Das unbefriedigende Ende tut sein Übriges dazu. Insofern kann man das Spiel nur erwachsenen Die-Hard Horror und Shooter Fans empfehlen. Alle anderen dürften sich an dem Titel die Zähne ausbeißen.
[ Review verfasst von .ram ]
PS: Wie immer bei einem Codemasters Spiel, wird auch hier richtige Abzocke mit Cheats betrieben. Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, das solche Sachen zu einem teuren Videospiel dazugehören (immerhin sollte jeder das Recht haben, das Ende zu sehen), aber wer hier größeren Schaden verursachen, oder alle Levels frei schalten will, muss ordentlich in die Tasche greifen. Eine Politik, die ich persönlich zum Kotzen finde!
PPS: Die Motion-Control Fähigkeit des Sixaxis Controllers wird lediglich zur optionalen Steuerung der Taschenlampe genutzt. Hätte ich darüber nicht im Handbuch gelsen, hätte ich das gar nicht mitbekommen.
Pluspunkte:
- Splatter & Gore & Horror pur
- Coole Geschichte
- Recht umfangreich dank mehrerer Zeitepochen
Minuspunkte:
- Miese KI
- Zuviel Charakterwechseln
- Ziemlich schwer