Der einstige Industrie-Bösewicht EA schickt sich an, der neue Liebling der Gamer zu werden. Neben den typischen 0815-Fortsetzungen konnte EA in diesem Jahr zwei völlig neue Serien auf dem Spielmarkt etablieren. Und im Falle von Mirror's Edge ist nicht nur eine neue IP sondern auch gleich ein komplett neues Genre: Das 1st-Person Jump'n'Run. Ob das wohl Spaß macht!?
Renn' um dein Leben!
In einer nahen Zukunft werden Städte nur noch von gesichtslosen Großunternehmen und Machtmenschen regiert. Kein Telefonanruf ist sicher, jeder Schritt wird überwacht, alles wird gelenkt und gesteuert. Mit einer Ausnahme: Die so genannten „Runner". Sie sind moderne Boten, deren außergewöhnliche athletische Fähigkeiten es ihnen erlauben, sich über die Dächer der Stadt zu bewegen, außerhalb des Kontrollnetzwerks welches ansonsten jede Kommunikation unterdrückt. Sie halten den „Untergrund" und die Individualität am Leben, indem sie wertvolle Informationen von einem Auftraggeber zum nächsten bringen. Als Spieler übernimmt man die Rolle von Faith, die zu den besten „Rennern" gehört und für die es spätestens richtig ernst wird, als ihre Schwester ungewollt in die rücksichtslosen Machtspiele der Oberen verwickelt wird.
Jump'n'Run in der ICH Perspektive
„Ja, bis du denn des Wahnsinns?", hätte ich vor Mirror's Edge sicherlich jedem gesagt, der mir vorgeschlagen hätte mal über ein 1st Person Jump'n'Run nachzudenken. Aber Mirror's Edge beweist, dass es geht. Von der ersten Minute fühlt sich das Spiel authentisch an und sobald man die Steuerung verinnerlicht hat, sprintet man mit Faith ganz intuitiv durch die Level, hüpft über weite Häuserschluchten, balanciert über steile Abgründe oder vollführt einen eleganten „Walljump" um zu höher gelegenen Ebenen zu gelangen. Das ganze funktioniert vor allem deshalb so hervorragend weil es den Entwicklern von DICE gelungen ist Faith eine physische Präsenz zu verleihen. Sie ist nicht nur einfach eine Kamera die man durch den Level bewegt sondern eine tatsächliche virtuelle Person, deren Bewegungsabläufe stets nachvollziehbar bleiben, die atmet, stöhnt, sich streckt und richtig lebendig wirkt. Dementsprechend macht es eine Menge Spaß wie ein Irrwisch durch die Levels zu stürmen und Hindernisse so wie Gegner elegant stehen zu lassen. Je effektiver man dabei von einem Hindernis zum nächsten gelangt, desto schneller rennt Faith weiter und es wird leichter, den Verfolgern zu entkommen oder weite Sprünge zu meistern.
Leider ist es häufig schwer den richtigen Weg gleich beim ersten Versuch zu finden. Für einige Passagen braucht man ein paar Anläufe, bis man die optimale Route über die Hindernisse entdeckt hat. Ein wenig Trial & Error kann das Spielerlebnis aber kaum schmälern. Etwas nerviger ist da schon der etwas unpräzise und schwammige Nahkampf, in dem man seine Gegner entwaffnen oder ausknocken kann. Hier hätte man sich noch etwas mehr Zeit für Feintuning nehmen sollen oder die direkten Auseinandersetzungen ganz raus lassen sollen. Faith kann ohnehin viel besser rennen als kämpfen. Komplett sparen können hätte man sich auch die wenigen Sequenzen, in denen Faith dann doch eine Waffe in die Hand nimmt und in Ego-Shooter-Manier ein paar Gegner umnietet. Das Gunplay geht zwar in Ordnung, fühlt sich allerdings mehr wie ein Fremdkörper im Spiel an. Sobald man eine Waffe in der Hand hat, ist man deutlich langsamer unterwegs und man hat das Bedürfnis, die Knarre in die nächste Ecke zu schmeißen und weiter zu spurten.
Der Story-Modus ist relativ schnell beendet, mit fünf bis sieben Stunden gehört das Spiel definitiv zu den Kürzeren. Wer aber einen Narren am 1st-Person Jump'n'Run Genre gefressen hat, was angesichts der Qualitäten des Spiels sehr wahrscheinlich ist, wird sich darüber hinaus noch lange mit den Time Trials und Speedruns beschäftigen können, in denen es darum geht bestimmte Passagen möglichst schnell zu durchrennen. Für etwas mehr Motivation gibt es natürlich auch Online-Ranglisten in denen man sich weltweit mit den besten Runnern vergleichen kann.
Grafik & Sound
Die Unreal3-Engine ist über die Zeit doch ein wenig in die Tage gekommen. Zwar produziert sie immer noch sehr gute Grafiken, sieht man aber Titel wie Uncharted oder das bald erscheinende Killzone 2 im Vergleich, wirken die Unreal-Spiele etwas altbacken. Besonders was die anspruchsvolle Ausleuchtung der Levels angeht hängt Epic's Allzweck-Engine mittlerweile deutlich hinterher. Die gute Nachricht: Mirror's Edge ist stilistisch so eigenständig, dass trotz Unreal3-Engine ein einmaliger visueller Stil erreicht wurde. Der sterile, minimalistische und meistens recht einfarbige Look ist so noch nicht da gewesen und trägt viel zur glaubwürdigen Atmosphäre des Spiels bei. Technisch störend fällt dabei aber umso stärker die fehlende Kantenglättung ins Gewicht - die „Jaggies" sind sehr deutlich und verleihen dem Spiel oft ein etwas unruhiges, unsauberes Bild und stören den Gesamteindruck an einigen Stellen doch deutlich. Erfreulich dagegen ist die Performance mit fast immer konstanten 30 FPS. Der Sound in Mirror's Edge ist toll. Neben dem grandiosen Titelsong inklusive Ohrwurmgarantie geht die musikalische Untermalung im Spiel immer direkt darauf ein, was gerade im Spiel passiert. Ist man an einer etwas komplexeren Hüpfpassage beschäftigt, die einem auch schon mal etwas Knobelei abverlangen kann, hält sie sich im Hintergrund, sind euch allerdings Verfolger auf den Fersen treiben euch schnelle Elektro-Beats nach vorne.
FAZIT:
Mirror's Edge ist erfrischend anders. Endlich mal eine neue Spielerfahrung, die noch dazu sehr gut umgesetzt wurde. Nichts ist perfekt, auch nicht Mirror's Edge. Die Story ist relativ kurz gehalten und zu schnell vorbei, wer nicht auf Time Trials steht bekommt relativ wenig Spielzeit für sein Geld. Darüber hinaus ist die gesamte Geschichte nur ein Anfang, um die Welt von Mirror's Edge zu etablieren. Abseits vom Drama um die Schwester von Faith passiert nicht viel. Sowohl die deutsche Synchronisation als auch die im Comic-Stil gehaltenen Zwischensequenzen könnten besser gemacht sein. Nichts desto trotz: Wer die Schnauze vom hundertsten Shooter, Racer oder einem anderem „0815"-Genre voll hat und aufgeschlossen ist, dem sei Mirror's Edge wärmstens empfohlen.
[ Review verfasst von Seph ]
Aufgepasst! Kollege Flek hat ein interessantes Interview mit Faith geführt. Checkt also unbedingt auch den Artikel.
.ram Kommentar:
Ja, „Mirror`s Edge“ ist erfrischend anders. Doch leider nicht konsequent genug. Ich mag die Kletterei über die Häuserdächer und zum Großteil ist dieser Aspekt den Entwicklern auch sehr gut gelungen. Weniger ausgefeilt wirken dagegen die zahlreichen Kämpfe, um die man meistens nicht so einfach herum kommt. Mit Sicherheitskräften und Polizisten konnte ich noch leben, aber schwer gepanzerte Shocktrooper mit Gatlinguns? Nein danke! Keine Ahnung was sich die Entwickler dabei gedacht haben, als sie den Kampfaspekt zu einem elementaren Gameplaypfeiler machten, denn das Spiel wäre definitiv ohne so viele Auseinandersetzungen besser dran gewesen. Weiterhin stört mich die unsaubere Präsentation: Die vielen Aliasingprobleme wirken unzeitgemäß, die Zwischensequenzen brechen mit dem realistischen Look des Spieles und die vielen Glitches und Freezes hätten auch nicht sein müssen. Dafür gefällt aber der Soundtrack und die professionelle deutsche Sprachausgabe (die ist nämlich um Längen besser als der englische O-Ton). Insgesamt zwar immer noch ein empfehlenswertes Spiel, das aber viel Potential verschenkt – vor allem wenn man auf den demnächst erscheinenden Downloadcontent mit den coolen abstrakten Geschicklichkeitslevels schielt.
Pluspunkte:
- Stilistisch genial, Prädikat: künstlerisch wertvoll!
- Jump'n'Run aus der Ego-Perspektive
- Gute Steuerung, gutes „Körpergefühl" für Faith
Minuspunkte:
- Trial & Error Passagen
- Nah- und Fernkampf unausgegoren bzw. überflüssig
- Bessere Präsentation der Story wäre wünschenswert gewesen